Der Aufstieg der Menschheit von Charles Eisenstein

Über die große Krise unserer Zivilisation und die Geburt eines neuen Zeitalters

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Inhaltsverzeichnis:


Kontrollsucht

Während die Technologie einst der allgemeinen Muße und der Sicherheit eine große Zukunft versprach, brauchen wir heute immer größere Dosierungen davon, bloß um die Welt vor dem Auseinanderfallen zu bewahren. Ein Muster abnehmender Grenzerträge scheint alle Bereiche der Technologie zu durchziehen, seien sie nun materiell oder sozial. Im frühen 20. Jahrhundert haben bescheidene Aufwendungen in medizinischer Forschung enorme Verbesserung bei der Lebenspanne bewirkt; heutzutage genügen riesige Ausgaben kaum, um die gegenwärtigen Standards zu halten. In der Landwirtschaft brachten kleine Mengen chemischer Düngemittel und Pestizide einst riesige Erhöhungen der Ernteerträge; heute kann immer größerer chemischer Eintrag die Ernten kaum daran hindern zu sinken, trotz „verbesserter“ Pflanzensorten. Im täglichen Leben ermöglichen uns Erfindungen wie das Mobiltelefon und andere elektronische Hilfsmittel, Fertiggerichte und Internet, gerade eben mit dem immer schnelleren Rhythmus des modernen Lebens Schritt zu halten.

Erst kürzlich hatte ich eine Unterhaltung mit einem langjährigen Bewohner von Washington D.C., der sich noch an die Errichtung des großen Autobahnrings in den 1960ern erinnern konnte. Jeder war aufgeregt, weil es damit möglich sein sollte, die gesamte Stadt in nur einer Stunde zu umfahren. Washington D.C. hatte gerade begonnen, Verkehrstaus zu entwickeln, so dass der Autobahnring nun eine neue Ära der Bequemlichkeit und des Komforts einläuten würde. Nun, ein jeder kann sich denken, was geschah. Sehr bald war der Autobahnring ständig verstopft. Die Lösung? Mache sie breiter und füge noch weitere Straßen hinzu. Natürlich führte das zu weiterer Bebauung und Verstopfung. Die kurzfristige technische Lösung, mehr Straßen zur Bewältigung eines exzessiven Verkehrsaufkommens, verschlimmert das Problem auf lange Sicht. Dies ist ein klassisches Beispiel für die technische Fehlerbehebung (engl. technical fix). Technologie hat meistens unbeabsichtigte Konsequenzen, oft auch, wie in dem Beispiel, eine Verschlechterung des Problems, das die Technologie eigentlich lösen sollte. Allgemein gesprochen sind unbeabsichtigte Konsequenzen nicht das Resultat schlampiger Ingenieurskunst, nachlässiger Planung oder fehlenden Eifers; sie können auch durch stärkere Kontrolle nicht vermieden werden; vielmehr liegen sie im Wesen des Versuchs, Kontrolle auszuüben.

Schon jetzt sollte dir das Muster immer höherer Dosierungen für immer geringere Wirkung dich an eine andere Bedeutung des Wortes „fix“ erinnern – der Drogenfix oder Schuss. Unsere Abhängigkeit von der Technologie teilt viele Eigenschaften mit der Drogenabhängigkeit. Zurück zum Beispiel aus der Landwirtschaft: Wenn wir erst einmal alle Raubtiere getötet, den oberen Mutterboden verloren und die Mineralien erschöpft haben, können wir wirklich keine Pflanzen mehr anbauen, ohne fortgesetzte Anwendung von mehr und mehr Technologie. Jeder Schuss bringt vorübergehend eine geringe Verbesserung, doch sobald die Erträge wieder anfangen zu sinken, brauchen wir einen neuen Schuss. An diesem Punkt sind wir „an der Nadel“: wenn wir die Düngemittel weglassen, werden die Erträge hinter jene zurückfallen, die wir hatten, bevor wir damit angefangen haben. Irgendwann ist schließlich der Boden so geschädigt, dass keine noch so große Menge Dünger mehr Leben aus dem Boden hervorbringt. Die Parallelen mit dem Verlauf der Heroinabhängigkeit sind geradezu unheimlich: eine immer höhere Dosis bringt ein immer weniger intensiven Rausch und wird schließlich gefolgt von absolutem Verfall.

Die oben erwähnte Geschichte der Lebenserwartung ist ein weiteres Beispiel. Die Dosis Technologie muss höher und höher werden, zu einem immer höheren Preis für den Rest des Lebens, um sinkende Grenzerträge zu erzielen. Irgendwann, so sagen Süchtige, braucht man hohe Dosen der Droge, nur um sich normal zu fühlen. Genauso sind hohe medizinische Ausgaben notwendig, damit die Menschen überhaupt noch richtig funktionieren. Die Hälfte der amerikanischen Erwachsenen nimmt irgendein verordnetes Medikament ein 14; der durchschnittliche ältere Bürger nimmt zwischen zwei und sieben Medikamente am Tag15.

Eingangs des düsteren Science-Fiction-Films Brazil von Terry Gilliam hatte die Tante des Protagonisten gerade eine kleinere plastische Operation hinter sich, um einen Schönheitsfehler in ihrem Gesicht zu beseitigen. Wir sehen sie mit ihrer kleinen Bandage. Das nächste Mal ist sie mit zwei oder drei größeren Bandagen zu sehen, weil es Komplikationen bei der ersten Operation gegeben hatte. Im Folgenden bedecken Bandagen den Großteil ihres Gesichts, weil sie wiederum eine Operation hatte, die Komplikationen der zweiten OP, die die Komplikationen der ersten OP beseitigen sollte, beseitigen sollte. Zum Schluss ist ihr ganzer Kopf bandagiert und jedes Mal sagt sie so etwas wie: „Es ist nun fast perfekt“ oder „Der Ärzte sagen, es wäre nur noch eine Frage von eins, zwei weiteren Eingriffen.“ Eine Serie stufenweiser Verbesserungen endet schließlich im vollständigen Verderben.

Warum ist die technologische Lösung so attraktiv? Weil sie kurzfristig wirklich funktioniert. Der erste Grabestock machte es tatsächlich einfacher, an Wurzeln zu gelangen. Eine Tasse Kaffee gibt mir wirklich ein Gefühl der Energetisierung. Ein starkes alkoholisches Getränk beseitigt tatsächlich den Schmerz. Die Klimaanlage kühlt uns an einem heißen Tag. Autos bringen uns schneller ans Ziel. Düngemittel kurbeln die Erträge an. Mit jeder Bauphase wird der Turm höher. Seht, es funktioniert! Wir kommen dem Himmel schon näher.

Dabei bleibt zunächst im Verborgenen, dass die technische Lösung eine Falle ist. Im Verlauf des Tages erschöpft der Kaffee unsere Adrenalin ausschüttenden Drüsen und macht uns müder, nicht wacher. Die Klimaanlage gewöhnt uns an eine schmale Komfortzone und macht uns abhängig von Innenräumen. Autos bringen mehr Straßen, mehr Autos und mehr Fahrzeit, nicht weniger. Technologie in der Nahrungsmittelproduktion bringt Bevölkerungswachstum und schließlich weniger Sicherheit und mehr Angst.

Schlussendlich verschwindet selbst die kurzfristige Wirksamkeit der technischen Lösung. Die Probleme, die sie einst linderte, wachsen in überwältigendem Ausmaß. Heute kann Technologie kaum mehr Schritt halten mit der Beschleunigung des modernen Lebens, den ausufernden neuen Bedrohungen, neuen Krankheiten und neuen Unsicherheiten. Letzten Endes wird der Alkoholiker so krank, dass jeder Schluck mehr Leid verursacht, als er beseitigt.

Das Prinzip der abnehmenden Grenzerträge, das die technologische Lösung charakterisiert, wurde vom Archäologen Joseph Tainter untersucht in seiner klassischen Arbeit „Der Kollaps komplexer Gesellschaften“16. Tainter sagt, dass die Investitionen einer Gesellschaft in deren Komplexität immer geringeren Nutzen bringt, bis allein die Aufrechterhaltung die gesamten Ressourcen verschlingt. Bürokratie, Rechtssysteme, technologische Systeme und komplexe Arbeitsteilung lösen kurzfristige Probleme der Gesellschaft und erbringen anfänglich dramatische Renditen, doch kommen sie mit versteckten Kosten. Diese Kosten können durch Wachstum und Eroberung in die Zukunft verlagert, in ihrer Ausprägung verschoben werden. Doch irgendwann wird die Gesellschaft unter der Last der errichteten Struktur kollabieren, wie schon wiederholt geschehen bei den alten Sumerern, dem Römischen Reich bis nun zum amerikanischen Imperium. Zuerst wird die Last schwer; dann kann Krise auf Krise kaum mehr abgewendet werden. Kriege um Ressourcen brechen aus, die Führung degeneriert in Korruption, die Umwelt nimmt Schaden und schließlich wird ihr die eine oder die andere Krise – etwas, das die Gesellschaft in ihrer Jugend leicht überwunden hätte – den finalen Stoß versetzen. Die Gesellschaft kollabiert in einen Zustand einer stark verringerten Komplexität.

Nach meiner Meinung ist die Geschichte von Babel allegorisch für diesen Prozess. Der für die Verwaltung des immer komplexeren Projekts nötige organisatorische Wasserkopf manifestiert sich in einer wachsenden Verwirrung, einer Unfähigkeit zur Kommunikation zwischen den enorm unterschiedlichen Spezialisierungen und Subsystemen, die koordiniert werden müssen. In der biblischen Geschichte finden sich die Erbauer unterschiedliche Sprachen sprechend, unfähig zu kommunizieren, unfähig, sich für eine gemeinsame Aufgabe zu verbünden – eine Situation, die den spezialisierten Jargon unterschiedlicher Wissenschaften und Berufsfelder, welcher einen bedeutungsvollen Fortschritt abwürgt, auf unheimliche Weise vorweg nimmt. In dieser Geschichte wird der Turm schließlich aufgegeben. In meiner Vorstellung gehen diesem Aufgeben verzweifelte Versuche voraus, den Turm abzustützen, die auftretenden Risse und Einstürze zu reparieren, die den vollständigen Kollaps ankündigen. Nachdem der anfängliche, rasche Fortschritt sich verlangsamt und schliesslich zum Stehen kommt, wird der Ehrgeiz, den Himmel zu erreichen zum bloßen Dogma, zu einer Ideologie, an die niemand mehr glaubt. Gleiches gilt für unsere Einstellung gegenüber dem oben beschrieben technologischen Utopia. Niemand glaubt mehr daran. In der Tat verschlingt es all unsere Anstrengung, den Turm auf seiner gegenwärtigen Höhe zu erhalten. Selbst wenn wir hier und da noch eine Erweiterung machen, zerbröckeln andere Teile und eine sich ausweitende Gebrechlichkeit bemächtigt sich seiner untersten Fundamente.

Die Parallelen zum Leben eines Süchtigen sind einfach nicht von der Hand zu weisen. Zuerst leicht aufrecht zu erhalten verlangt die Sucht bald immer komplexere Strukturen zur Unterstützung. Der Süchtige opfert langfristige für kurzfristige Vorteile, schafft Lügengespinste, die schließlich auffliegen müssen, und widmet der Aufrechterhaltung der Sucht mehr und mehr Ressourcen. Hol dir den Schuss heute und kümmere dich morgen um die Konsequenzen. Die Konsequenzen türmen sich immer weiter auf, die Last des Lebens wächst und schließlich kollabiert die gesamte fragile Struktur. So wie sich der unmittelbare Grund für den Kollaps von Person zu Person unterscheiden kann, müssen wir auch über die naheliegenden Gründe des Zivilisationskollaps hinaus schauen. Auf einer Ebene wird sicherlich eine Energiekrise oder eine ökonomische Rezession oder eine militärische Niederlage oder eine Umweltkrise oder eine Kombination dieser Gründe oder etwas vollkommen anderes unsere Zivilisation beenden. Der unmittelbare Grund ist unmöglich vorherzusagen, aber das Endresultat ist unausweichlich.

Während unsere Zivilisation seit tausenden von Jahren von Hinweisen auf ein eingebautes Versagen des technologischen Programms gequält wird, erweisen sich diese Hinweise erst in der Gegenwart als unentrinnbar und unbestreitbar. Beispielsweise waren in der Vergangenheit Effekte der Umweltzerstörung eher lokal: die Reichen und Schönen konnten immer anderswohin ziehen – was natürlich selbst auch nur eine temporäre Lösung darstellt. Heute, da der Kollaps des Ökosystems globale Ausmaße annimmt, gibt es kein „anderswohin“ mehr. Selbst wenn die Menschen sich in eine Festungsmentalität zurückziehen, werden unsere systemischen Sozial- und Umweltprobleme einen Weg dort hinein finden.

Wie bei jeder Sucht scheint der fix zunächst schön zu funktionieren: ein Diener des Lebens, ein Schmerzstiller, der mit handhabbaren Kosten verbunden ist. Zuerst scheinen die Opfer gerechtfertigt zu sein; sie werden unter den Teppich gekehrt, man kümmert sich später darum. Doch früher oder später wachsen die Kosten in solchen Proportionen, die das gesamte Leben verschlingen bei gleichzeitig sinkender Fähigkeit, den Schmerz zu stillen.

Die technische Lösung schiebt das Problem in die Zukunft, gerade so wie das Saufgelage die Probleme des Lebens auf morgen verschiebt. Nicht länger. Die Zukunft beginnt jetzt und kann nicht länger verschoben werden. „Die Zukunft“ des technologischen Programms ist jene, in der alle Probleme ein für alle mal gelöst sein werden; hier und jetzt jedoch erwachen wir in einer anderen Art Zukunft und mit einem Kater, der sich gewaschen hat: Erbrochenes auf dem Boden, die Wohnung verwüstet und die Welt ein Schlamassel.

So wie jede persönliche Sucht die Struktur der Süchtigenfamilie, der Freundschaftsbeziehungen, der Arbeit und in der Tat aller Beziehungen zur Welt unerbittlich offenlegt, so hat auch unsere technologische Sucht langsam unsere natürliche und soziale Umwelt zerstört. Und wie mit anderen Süchten, bevor die glänzenden Versprechen der Technologie zu verblassen begannen, konnten solche Zerstörung leicht ignoriert werden. Die erschreckende Verschmutzung im 19. Jahrhundert war tatsächlich zerstörerischer für die menschliche Lebensqualität – allerdings auch räumlich begrenzter – als die Verschmutzung heute, aber dennoch wurde sie leichthin als vorübergehendes Problem abgetan, als Kosten des Fortschritts, die unweigerlich durch den Einsatz von Technologie beseitigt werden würden. Heute sind für viele die Auswirkungen der Verschmutzung weiter entfernt, subtiler und sicherlich leichter einer einzigen, spezifischen Ursache zuzuordnen, doch sind sie auch systemweiter und eine größere Bedrohung für den gesamten Planeten. Von der Zerstörung der Ozonschicht über die Globale Erwärmung bis hin zu den PCBs in einer jeden lebenden Zelle17 ist die Zerstörung heute allgegenwärtig und unentrinnbar.

Die Unentrinnbarkeit der gegenwärtigen Krisen zerstört die fundamentale Illusion, die dem Kurs der Trennung zugrunde liegt. Solange wir uns als vereinzelte, von der Umwelt getrennte Wesen betrachten, hat unsere Fähigkeit, uns vor der Degeneration der sozialen und natürlichen Umwelt abzuschirmen, im Prinzip keine Grenzen. Die Welt ist ein „Anderes“ und ihr Leid hat nichts mit mir zu tun, vorausgesetzt ich bin abgebrüht genug, mich abzuschirmen. Heute, da die Trümmer Überhand nehmen, sind ihre Auswirkungen immer schwerer zu verwalten. Die gewohnte Antwort ist, sich mehr anzustrengen: eine neue Technologie zu erfinden, um all die Probleme der Vergangenheit zu tilgen, um uns vom Schlamassel noch gekonnter abzuschirmen. Doch da dies ummöglich wird, da die aufkeimenden Krisen uns überwältigen, kommt eine neue Möglichkeit auf: das Programm der Abschirmung und der Kontrolle abzulegen und mit ihm die Auffassung vom getrennten Selbst, auf der es beruht.

Der Prozess der Suchtheilung, der im Zwölf-Schritte-Programm der Anonymen Alkoholiker beschrieben ist, bietet eine interessante Parallele. Die ersten drei Schritte lassen sich so zusammenfassen: „Wir haben erkannt, dass wir machtlos waren gegen unsere Sucht, dass wir unser Leben nicht mehr im Griff hatten. Deshalb haben wir entschieden, unser Leben und unseren Willen einer höheren Macht anzuvertrauen.“ Im Kontext der Technologie bedeutet der erste Satz die Anerkennung des Scheiterns des Technologischen Programms. Es ist die Erkenntnis, dass, je mehr wir versuchen, die Natur zu kontrollieren, unsere Probleme desto weniger handhabbar und kontrollierbarer werden. Der zweite Satz ist ein Bekenntnis zur Aufgabe und zum Vertrauen in das, was jenseits unser selbst liegt. Der religiöse Gehalt des Zwölf-Schritte-Bekenntnisses übersetzt sich in diesen Kontext als Überschreitung der begrenzenden und wahnhaften Auffassung vom Selbst, das stillschweigend in unserer Physik und Biologie, Ökonomie und Politik, Philosophie und Religion vorausgesetzt wird.

Die Art, wie wir uns zur Welt in Beziehung setzen, ist festgeschrieben in unserem aller elementarsten Mythos, unserer Kosmologie, unserer Seinslehre und damit in den Glaubenssystemen, die unserem Überbau aus Wissenschaft und Religion zugrunde liegen. Es sind unsere fundamentalen Überzeugungen davon, wer wir sind und von der Beschaffenheit des Universums, welches das menschliche Leben hervorgebracht hat, wie wir es kennen und die Welt, wie wir sie erfahren. Wenn diese Überzeugungen unverändert bleiben, dann wird auch die Richtung, in die sie uns bringen unverändert bleiben. Dann ist unsere Verzweiflung gerechtfertigt. Technologie, wie wir sie kennen und mit ihr das Programm der Kontrolle werden niemals das Versprechen des Aufstiegs der Menschheit einlösen. Doch darin liegt auch eine große Hoffnung, denn aus der Verzweiflung kommt die Kapitulation und aus der Kapitulation kommt eine Öffnung für neue Überzeugungen, eine neue Auffassung vom Selbst und der Welt. Daraus kann eine neue Art der Beziehung zur Welt entstehen; das heißt, eine neue Form der Technologie, die sich nicht länger der Objektivierung, Kontrolle und letztendlichen Überwindung der Natur verschreibt.

Der Kollaps, dem wir entgegen gehen, ist mehr als bloß ein Kollaps „unserer Zivilisation“, sondern von Zivilisation als solcher – Zivilisation, wie wir sie kennen. Es ist der Kollaps einer gesamten Herangehensweise an die Welt und an das Sein und der gesamten Definition des Selbst. Denn an der Wurzel unserer technologischen Abhängigkeit liegt unsere Abtrennung vom Universum, unsere Selbst-Auffassung als einzelne, abgetrennte Wesen, die uns zur Kontrolle anspornt. Der Zusammenbruch historischer Zivilisationen war ein Vorgeschmack des archetypischen Kollapses, der uns heute einholt und der sein Bild wiederum in die Geschichte zurückwirft.

Was treibt unsere Abhängigkeit von der Technologie an? Hinter allen Süchten steckt ein wahrhaftes Bedürfnis, das die Sucht zu stillen verspricht. Das Rauschmittel sagt: „Ich werde den Schmerz vertilgen.“ Doch natürlich ist das Versprechen eine Lüge, das das wahre Bedürfnis ungestillt lässt. Das gleiche gilt für Technologie, die durch das Gebot, die Natur zu kontrollieren, angetrieben wird, einem Gebot, das selbst aus einem ungestillten Bedürfnis entsteht. Es ist ein Bedürfnis, das wir alle in unterschiedlicher Weise spüren: als eine im modernen Leben endemische Angst, als ein nahezu allumfassendes Gefühl der Bedeutungslosigkeit, als eine unbarmherzige Langeweile, aus der wir uns nur vorübergehend ablenken können, als ein allgegenwärtiges Gefühl der Oberflächlichkeit und Künstlichkeit. Es ist ein Gefühl, als fehle etwas. Manche Menschen nennen es ein Loch in der Seele. Was wir in unserer technologischen Abhängigkeit suchen ist nichts weniger, als unsere verlorene Ganzheit, und ihre Wiederherstellung ist, was auf der anderen Seite des unmittelbar bevorstehenden Kollapses des Regimes der Trennung wartet.

14 Bowman, L. 51% Of U.S. Adults Take 2 Pills or More a Day, Umfrageergebnis (Scripps Howard News Service). San Diego Union-Tribune, 17. Jan. 2001.

15 „Seniors and Medication Safety“, Minnesota Poison Control System, http://www.mnpoison.org

16 Tainter, John. The Collapse of Complex Societies. Cambridge University Press, 1988.

17 „Conspiracy of Silence“, Eric Francis, original erschienen im Magazin Sierra, Titelgeschichte, Sept./Okt. 1994. Die Behauptung, PCBs seien in jeder lebenden Zelle vorhanden, stammt aus einer 1998 erschienenen Einleitung zu eben diesem Artikel (http://www.planetwaves.net/silence.html)

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1998-2011 Charles Eisenstein