Der Aufstieg der Menschheit von Charles Eisenstein

Über die große Krise unserer Zivilisation und die Geburt eines neuen Zeitalters

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Inhaltsverzeichnis:


Kooperation als Währung

Wohlstand ist in Beziehung treten, nicht Aneignung
– Tom Brown, Jr.

Der „unheilbare Konstruktionsfehler“ unserer Zivilisation, der über Jahrtausende subtile, allgegenwärtige Furcht und Weltuntergangsmythen hervorgerufen hat, manifestiert sich in jeder menschlichen Einrichtung, von der Wissenschaft über die Religion bis zur Wirtschaft. Keine ist von den anderen unabhängig; keine kann sich isoliert verändern; denn wenn eine sich ändert, werden sich alle ändern. In Kapitel VI haben wir den sich anbahnenden Gezeitenwandel in der Wissenschaft behandelt, den wir zu integrieren beginnen. Nun schauen wir uns andere soziale Institutionen an und beginnen dort, wo der Konstruktionsfehler am offenkundigsten und seine Auswirkungen am deutlichsten sind: die Institution Geld.

Kapitel V beschrieb, wie unser gegenwärtiges System des Zinsgeldes die Notwendigkeit für grenzenloses Wachstum erschafft, wie es lineares Denken verkörpert, wie es den zyklischen Mustern der Natur zuwiderläuft und wie es die erbarmungslose Umwandlung aller Formen des Wohlstands in Geld vorantreibt. Gleichermaßen ist Zins die Quelle des sich ständig verstärkenden Wettbewerbs in unserer Wirtschaft, der systemischen Knappheit und der Konzentration von Wohlstand. Doch Zins ist mehr als ein historisches Zufallsartefakt; er ist mit unserer Selbstwahrnehmung als getrennte, miteinander wettstreitende Subjekte verbunden, die immer mehr Anteile der Welt innerhalb der Grenzen von „Mein“ ansammeln wollen. Der Wandel unserer grundlegenden Seinslehre, wie er sich teilweise in den neuen Wissenschaften ausdrückt, wird deshalb schließlich auch ein neues Geldsystem hervorbringen, das zu einer neuen Vorstellung vom Selbst und der Welt passt.

Das Geldsystem einer Gesellschaft kann nicht von anderen Aspekten ihrer Beziehung zur Welt und der Beziehungen zwischen ihren Mitgliedern getrennt werden. Geld, wie wir es heute kennen, ist sowohl ein Spiegel als auch ein Triebmittel für die Verdinglichung der Welt, das Wettbewerbsparadigma und die Entpersönlichung und Zersplitterung unserer Gesellschaft. Wir sollten deshalb annehmen, dass jeder authentische Wandel in diesen Dingen notwendigerweise einen Wandel unseres Geldsystems einschließt.

Tatsächlich gibt es Geldsysteme, welche zum Gemeinnutzen statt zum Wettbewerb, zur Erhaltung statt zum Konsum und zur Gemeinschaft statt zur Anonymität ermutigen. Pilotprojekte mit solchen Systemen gibt es bereits seit mindestens hundert Jahren, aber weil sie den größeren Mustern in unserer Kultur schaden, wurden sie marginalisiert oder sogar aktiv unterdrückt. Gleichzeitig sind viele kreative Vorschläge für neue Industriemethoden wie Paul Hawkens Öko-Kapitalismus und viele grüne Designtechnologien unter dem gegenwärtigen System unwirtschaftlich. Die alternativen Geldsysteme, die ich im folgenden beschreibe, werden auf natürliche Weise Ökonomien herbeiführen, wie sie von Visionären wie Hawken, E.F. Schumacher, Herman Daly und anderen beschrieben wurden. Sie werden auch die fortschreitende Verstaatlichung und Globalisierung aller Wirtschaftssektoren rückgängig machen, Gemeinschaften wiederbeleben und zur Ausmerzung „externer Auswirkungen“ beitragen, die das Wirtschaftswachstum zum Gegner menschlichen Glücks und planetarer Gesundheit machen.

Da Zinsen eine so entscheidende Rolle spielen, sollte bei der Wahl des alternativen Geldsystems zunächst darauf geachtet werden, dass es diese von Grund auf eliminiert. Wie die Geschichte der Katholischen Kirche zeigt, taugen alle Gesetze und Ermahnungen gegen den Zins nichts, solange seine strukturelle Notwendigkeit im Zahlungsmittel enthalten ist. Man braucht eine strukturelle Lösung wie etwa das von Silvio Gesell in „Die natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld“ vorgeschlagene System. Gesells Freigeld enthält eine Art Negativzins, den sogenannten Schwund. Man muss auf den Noten regelmäßig einen Stempel anbringen lassen, der einen kleinen Teil des Nennwerts kostet, im Grunde eine „Benutzungsgebühr“ oder „Unterhaltskosten“; man kann es auch so sehen, dass das Geld mit zunehmendem Alter „schlecht wird“ – abgewertet.4

Falls das wie ein radikaler Vorschlag klingt, der niemals funktionieren wird, mag es dich vielleicht überraschen zu hören, dass keine geringere Autorität als John Maynard Keynes die theoretische Stichhaltigkeit von Gesells Idee lobte. Darüber hinaus ist das System sogar mit großem Erfolg ausprobiert worden.

Obwohl Schwund bereits im alten Ägypten in Form von Lagerkosten für warengedeckte Währung5 angewendet worden ist, wurde das am besten bekannte Beispiel 1932 im Ort Wörgl in Österreich durch dessen berühmten Bürgermeister Uttenguggenberger eingeführt. Um seinen Wert zu behalten, bedurfte jedes Stück der lokal ausgegebenen Währung eines monatlichen Stempels, der 1% des Nennwerts betrug. Statt Zinsen und Zuwachs abzuwerfen, wurde die Anhäufung von Wohlstand zu einer Last – genau wie Besitztümer für den nomadischen Jäger-Sammler eine Last sind. Deshalb gaben die Leute ihr Einkommen schnell aus und schufen damit intensive wirtschaftliche Aktivität am Ort. Die Arbeitslosenquote sank selbst dann noch, als der Rest des Landes in eine sich vertiefende Depression rutschte; öffentliche Arbeiten wurden fertiggestellt, und der Wohlstand hielt an, bis die Wörgl-Währung 1933 auf Geheiß der gefährdeten Zentralbank verboten worden ist.

Schwund erzeugt eine Anzahl grundlegender ökonomischer, sozialer und psychologischer Effekte. Konzeptionell bewirkt Schwund die Befreiung materieller Güter, die dem natürlichen Kreislauf von Erneuerung und Zerfall unterliegen, von ihrer Bindung an Geld, das mit der Zeit nur exponentiell wächst. Wie in Kapitel IV erklärt, treibt uns diese Dynamik durch die völlige Aufbrauchung allen sozialen, kulturellen, natürlichen und spirituellen Wohlstands in den Ruin. Schwundwährung unterwirft Geld lediglich den selben Gesetzen wie natürliche Waren, deren Werterhalt der Pflege bedarf. Gesell schreibt:

„Das Gold paßt nicht zur Eigenart unserer Waren. Gold und Stroh, Gold und Petroleum, Gold und Guano, Gold und Ziegelsteine, Gold und Eisen, Gold und Häute! Nur eine Einbildung, ein ungeheurer Wahngedanke, nur der Gegenstand der Wertlehre kann diesen Widerspruch überbrücken. Die Waren im allgemeinen, Stroh, Petroleum, Guano können nur dann sicher gegenseitig ausgetauscht werden, wenn es allen Leuten völlig gleichgültig ist, ob sie Geld oder Ware besitzen, und das kann nur dann der Fall sein, wenn das Geld mit all den üblen Eigenschaften belastet wird, die unseren Erzeugnissen ”eigen” sind. Es ist das ganz klar. Unsere Waren faulen, vergehen, brechen, rosten, und nur wenn das Geld körperliche Eigenschaften besitzt, die jene unangenehmen, verlustbringenden Eigenschaften der Waren aufwiegen, kann es den Austausch schnell, sicher und billig vermitteln, weil dann solches Geld von niemand, in keiner Lage und zu keiner Zeit vorgezogen wird.
Geld, das wie eine Zeitung veraltet, wie Kartoffeln fault, wie Eisen rostet, wie Äther sich verflüchtigt, kann allein sich als Tauschmittel von Kartoffeln, Zeitungen, Eisen und Äther bewähren. Denn solches Geld wird weder vom Käufer noch vom Verkäufer den Waren vorgezogen. Man gibt dann nur noch die eigene Ware gegen Geld her, weil man das Geld als Tauschmittel braucht, nicht, weil man vom Besitz des Geldes einen Vorteil erwartet. “

Anders ausgedrückt wird das Geld als Tauschmittel vom Geld als Wertspeicher entkoppelt. Geld ist dann keine Ausnahme von der natürlichen Tendenz zum rosten, verformen, verrotten und verfallen – also von der Rückführung von Ressourcen in den Kreislauf. Geld hält nicht mehr den von der Natur getrennten menschlichen Bereich aufrecht.

Gesells Formulierung „eine Einbildung, ein ungeheurer Wahngedanke, nur der Gegenstand der Wertlehre ...“ weist auf eine noch subtilere und mächtigere Auswirkung des Schwunds hin. Wovon redet er? Wert ist der Glaube, der jedem Objekt in der Welt eine Zahl zuweist. Es verbindet eine unveränderliche, unabhängige Abstraktion mit etwas, das sich stets ändert und in Beziehung mit allem anderen existiert. Schwund kehrt dieses Denken um und entfernt daher eine wichtige Grenze zwischen dem menschlichen und dem natürlichen Bereich. Wenn Geld nicht länger Gütern vorgezogen wird, werden wir uns abgewöhnen, über den „Wert“ von etwas nachzudenken.

Während Zins es erlaubt, künftige Geldflüsse unberücksichtigt zu lassen, ermutigt der Schwund langfristiges Denken. Nach heutiger Rechnung ist ein Regenwald, der für immer nachhaltig eine Million Dollar im Jahr abwirft, als Kahlschlagprofit im Umfang von 50 Millionen Dollar wertvoller. (Tatsächlich ist der gegenwärtige Gesamtwert der nachhaltigen Waldbewirtschaftung zum Diskontsatz von bloß 5% lediglich 20 Millionen Dollar wert.) Diese Vernachlässigung der Zukunft führt zu skandalös kurzsichtigem Verhalten der Gesellschaften, die (sogar ihr eigenes) langfristiges Wohlergehen für kurzfristige Ergebnisse im Steuerquartal opfern. Solches Verhalten ist in einer zinsbasierten Wirtschaft völlig logisch, aber in einem Schwundsystem würde reiner Eigennutz den Erhalt des Waldes diktieren. Gier würde nicht mehr die Beraubung der Zukunft zum Nutzen der Gegenwart begründen. Da die exponentielle Missachtung künftigen Geldflusses die „Liquidierung“ der gesamten Erde, wie in Kapitel IV veranschaulicht, nahelegt, ist also die Schwundeigenschaft des Geldes hoch attraktiv.

Während Zins zur Konzentration von Wohlstand führt, fördert Schwund seine Streuung. In jeder Ökonomie mit Arbeitsteilung, die über die Familienebene hinausgeht, müssen Menschen einen Austausch vornehmen, um zu überleben. Sowohl Zins als auch Schwund repräsentieren eine Gebühr für den Geldgebrauch, aber der Hauptunterschied ist, dass im ersteren die Gebühr jenen zufließt, die bereits Geld haben, während sie im letzteren von jenen erhoben wird, die Geld haben. Wohlstand erzeugt hohe Unterhaltskosten und stellt so die Dynamik wieder her, welche Einstellung der Jäger-und-Sammler bezüglich der Anhäufung von Besitztümern bestimmte.

Während Sicherheit in einem zinsbasierten System aus der Anhäufung von Geld resultiert, kommt sie in einem Schwundsystem von produktiven Kanälen, durch die man es dirigiert. Man wird also eher ein Knotenpunkt für den Wohlstandsfluss als ein Akkumulationspunkt. Mit anderen Worten legt es den Fokus auf Beziehungen, nicht auf das Haben. Metaphorisch, und vielleicht mehr als das, harmoniert das Schwundsystem mit einem neuen Selbstgefühl, das nicht durch immer mehr der Welt innerhalb der Grenzen von mir und mein bestätigt wird, sondern durch die Entwicklung und Vertiefung von Beziehungen mit anderen. Es ermutigt zu Gegenseitigkeit, Teilen und zügiger Zirkulation von Wohlstand. Man könnte es so begreifen, dass sich Wohlstand in einem Schwundsystem zu etwas ähnlichem wie dem Nordwestpazifischen oder Melanesischen Modell entwickeln würde, in denen ein Führer „als Rangierbahnhof für Güter dient, die zwischen seiner eigenen und ähnlichen Gesellschaftsgruppen hin und her fließen.“6 Diese Gesellschaften „großer Männer“ waren nicht völlig egalitär und haben einen gewissen Grad an Zentralismus hervorgebracht, wie er vielleicht in jeder Ökonomie mit mehr als einfacher Arbeitsteilung nötig ist; der springende Punkt ist, dass Führung nicht mit der Anhäufung von Geld oder Besitz verbunden war, sondern mit enormer Verantwortung für Freigiebigkeit. Kannst du dir eine Gesellschaft vorstellen, in der das größte Prestige, Macht und Führerschaft jenen mit der stärksten Neigung und Fähigkeit zur Freigiebigkeit verliehen wird?

Durchdenke die Wohlstandsvorstellung der !Kung, wie sie in folgendem Austausch zwischen Anthropologe Richard Lee und dem !Kung-Mann !Xoma erkundet wurde:

Ich fragte Xoma: „Was macht einen Man zu einem //kaiha (reichen Mann)? Wenn er viele Taschen voll //kai (Perlen und andere Wertgegenstände) in seiner Hütte hat?“
„//kai zu haben macht dich nicht zum //kaiha.“, antwortete !Xoma. „Wenn jemand viele Güter herumgehen lässt, dann nennen wir ihn //kaiha.“
Was !Xoma zu sagen schien, war, dass nicht die Zahl deiner Güter deinen Wohlstand ausmachte, sondern die Zahl deiner Freunde. Die wohlhabende Person wurde an der Häufigkeit ihrer Transaktionen und nicht an ihrem zur Verfügung stehenden Güterbesitz gemessen.7

Im gegenwärtigen zinsbasierten Geldsystem kommt Sicherheit vom Haben – also von Anhäufung – und ihre Vollendung ist „finanzielle Unabhängigkeit“. Der ursprüngliche Wohlstand der Jäger und Sammler stammte aus einer Sicherheit, die nicht mit Unabhängigkeit verknüpft war, sondern mit gegenseitiger Stützung. Erinnere dich an den Piraha: „Ich lagere Fleisch im Bauch meines Bruders.“ Ein einsamer Waldbewohner oder eine Waldbewohnerin kann in der Wildnis überleben, aber seine oder ihre Existenz ist weit prekärer, als die einer Gruppe, die zusammenarbeitet. Ähnlich verhält es sich auch im schwundbasierten Geldsystem, wo Teilen und nicht persönliche Anhäufung die Basis für Sicherheit bildet. Schwund ähnelt der Abneigung der Jäger und Sammler gegenüber Nahrungsaufbewahrung und andere materielle Anhäufungen, und das schließt womöglich deren Mentalität des Vertrauens ins günstig gestimmte Universum ein, die es in jenen Tagen gab. Das Zeitalter der Wiedervereinigung ist also eine Rückkehr zur ursprünglichen Psychologie des Überflusses, aber auf einer höheren Komplexitätsebene. Es ist keine technologische Rückkehr in die Steinzeit, wie sie manche Primitivisten für die Zeit nach dem Zusammenbruch sehen, sondern eine spirituelle Rückkehr.

Silvio Gesell, der Urheber der Schwundidee, hat vorausgesehen, dass sie einen tiefgreifenden Wandel in der Einstellung zum Geld auslösen würde:

„Mit dem Freigeld ist das Geld auf die Rangstufe der Regenschirme herabgesetzt worden, und die Bekannten und Freunde helfen sich jetzt gegenseitig aus, als ob es sich mit dem Gelde um eine ganz gewöhnliche Sache handele. Irgendwie größere Geldvorräte hat niemand und kann auch niemand haben, da ja das Geld unter Zwangsumlauf steht. Aber gerade weil man keine Rücklagen haben kann, braucht man auch keine. Das Geld läuft ja jetzt mit größter Regelmäßigkeit um. Der Kreislauf ist geschlossen. “8

Geld wäre kein rares Gut mehr, das man hortet und vor anderen versteckt; es würde eher zur Zirkulation mit maximaler „Geschwindigkeit“ neigen. Die Regierung würde stabile Preise entsprechend der Tauschgleichung (M V = P Q) sicherstellen, indem sie die umlaufende Geldmenge M so reguliert, dass sie der gesamtwirtschaftlichen Produktion Q entspricht9. (Man könnte das selbe Ergebnis erzielen, indem man die Währung an einen Warenkorb bindet, dessen Höhe der gesamtwirtschaftlichen Aktivität entspricht, wie von Bernard Lietaer vorgeschlagen.) Gesell schließt:

„Daraus ergibt sich, daß die Nachfrage überhaupt keine Willenssache der Geldinhaber mehr sein wird, daß bei der Preisbestimmung durch Nachfrage und Angebot der Wunsch, Gewinn zu erzielen, ohne Einfluß bleiben muß, daß die Nachfrage unabhängig von Geschäftsaussichten, vom Glauben an das Steigen oder Fallen der Preise sein wird, unabhängig auch von Vorgängen im Staatsleben, von Ernteaussichten, von der Tüchtigkeit der Staatsoberhäupter, von der Furcht vor wirtschaftlichen Erschütterungen. “10

Freigeld würde einen großen Teil der Quelle der endemischen wirtschaftlichen Furcht unserer Gesellschaft fortnehmen. Kannst du dir eine Welt vorstellen, in der Geld nicht knapp wäre? Wie verschieden wäre doch dein Leben, wenn du nicht den Trieb verspürtest, aus Sicherheitsgründen Geld anzuhäufen? In einer Welt, in der das Überleben von Geld abhängt und in der Geld knapp ist, ist auch das Überleben schwer und Sicherheit wird nur gewonnen, indem man alle anderen aussticht.

Obwohl die Gesamtwährungsmenge durch den Herausgeber bestimmt würde, würde ihre Dynamik in einem schwundbasierten Währungssystem sicherstellen, dass genug für alle da wäre. Der Widerspruch in der heutigen Ökonomie, in der ein Übermaß materieller Güter mit deren gröblich ungleicher Verteilung gekoppelt ist, so dass stets bei einigen die Nachfrage nicht gedeckt wird, würde verschwinden, genau wie die Rückkopplungsschleife, die zu ökonomischer Rezession und Depression führt.11 Vielleicht würde es auch gegen den tieferen Widerspruch helfen, bei dem einerseits hunderte von Millionen Menschen arbeitslos oder in trivialen, sinnlosen Jobs eingespannt sind, während andererseits viel nötige, sinnvolle Arbeit unerledigt bleibt – eine Entkopplung menschlicher Schaffenskraft von menschlichen Bedürfnissen.

Mit dem Freigeld ist die Nachfrage nicht mehr vom Geld zu trennen, sie ist nicht mehr als eine Willensäußerung seiner Besitzer zu betrachten. Das Freigeld ist kein Mittel zur Nachfrage, sondern ist an sich diese Nachfrage, die fleischgewordene Nachfrage, die als Körper dem Angebot entgegentritt, das seinerseits auch nie etwas anderes war und ist. ”12

Seit Plato haben utopistische Philosophen geglaubt, dass Logik, Planung und Methode dem Sozialbereich den selben Fortschritt bringen würden, wie Technik dem materiellen. Soziale Planung würde die Wildheit der menschlichen Natur erobern, so wie Technologie die Wildheit der physischen Natur unterworfen hat. Das Versagen beider wird lediglich als Beweis gesehen, dass wir mehr davon brauchen. Die Ambition der Nanotechnologie, die physikalische Kontrolle auf eine neue Ebene mikroskopischer Präzision zu heben, ähnelt den Sozialtechniken Bildung und Recht, die nach immer detaillierterer Regulierung menschlichen Verhaltens streben.

Die Gier, die uns gute und notwendige Arbeit zugunsten beschränkten Eigennutzes ignorieren lässt, ist kein Grundpfeiler menschlicher Natur, sondern ein Artefakt unseres Geldsystems und unseres Fehlverständnisses vom Selbst und der Welt, das ihm zugrunde liegt. Die in unser System eingebaute Knappheit hat uns zu dem Glauben erzogen, dass wir es uns „nicht erlauben können“, aus Liebe zu handeln, erfüllende Arbeit zu tun, Schönheit zu schaffen. Gesells Freigeld steht für eine Befreiung von diesen Rahmenbedingungen und von der ihnen zugrunde liegenden Selbst-Täuschung. Es begründet einen strukturellen Anreiz für Freigiebigkeit und befreit Schaffenskraft, damit sie das Notwendige tut. In dieser Hinsicht stellt Freigeld eine Rückkehr zu den geschenkbasierten Gesellschaften von einst dar. Beachte die erstaunliche Kongruenz zu Lewis Hydes Beschreibung der Dynamik des Geschenkflusses:

„Das Geschenk bewegt sich auf einen leeren Platz zu. Während es seine Kreisbahn zieht, bewegt es sich auf jenen zu, der am längsten leer ausgegangen ist, und wenn jemand erscheint, dessen Bedarf noch größer ist, verlässt es seinen alten Pfad und bewegt sich zu ihm hin. Unsere Freigiebigkeit mag uns leer ausgehen lassen, aber unsere Leere zieht dann sanft an der Gesamtheit, bis die sich bewegende Sache zurückkehrt, um uns wieder aufzufüllen. Die soziale Natur hasst das Vakuum.“13

Freigeld kehrt den Trieb zur konstanten Expansion und Absicherung der Anhäufung von Privatem um, der Expansion und Absicherung des getrennten Bereichs des Selbst, von mir und mein. Freigeld schafft einen sozialen Impuls zu universeller Brüderlichkeit, wie Jesus sie verkündet hat und wie die Kirche sie fortschreitend zerstört hat und wie Martin Luther sie aus der materiellen Welt verbannt hat. Genau wie Zins den Umfang des Selbst schrumpfen lässt, bis uns nichts als das entfremdete Ego der modernen Zivilisation bleibt, so wird es durch Schwund, als Gegenteil von Zins, erweitert, damit wir mit der Gemeinschaft und der ganzen Menschheit wieder eins werden und damit die künstliche Knappheit und der Wettbewerb des Wucherzeitalters endet.

Wir leben doch in einer Welt des Überflusses, und haben es immer getan. Das gegenwärtige Geldsystem und die darunter liegende Einfriedung des Wilden in exlusives Besitztum hat eine künstliche Knappheit geschaffen, in der nichts zu existieren braucht. Die halbe Welt ist hungrig, während die andere Hälfte genug wegwirft, um die erste Hälfte zu ernähren.14 Weder Nahrung noch irgendein anderes Bedarfsgut ist knapp, sondern Geld, dessen eingebaute Knappheit allem anderen den selben Status verleiht.

Eine Währung mit negativem Zins ist ein Schritt zurück zu den Geschenkwirtschaften von einst, die wie in Kapitel IV beschrieben buchstäblich Bindungen (Verpflichtungen) hervorbringen. Die Autorin Jessica Prentice schreibt über Lewis Hydes Geschenktheorie: „Teil der heiligen/erotischen Energie von Geschenken ist, dass der Empfänger sie nicht anhäufen kann; ein Geschenk muss entweder weitergegeben werden oder ein anderes Geschenk muss gemacht werden, so dass die Energie des Geschenkemachens in Bewegung bleibt. Bei Geschenken geht es um das Fließen; sie müssen zirkulieren.“15 Das ist eine perfekte Beschreibung des Freigeldes, das wie ein Geschenk an Wert verliert, das im Schrank Staub ansetzt, wenn man es nicht benutzt. In einem Freigeldsystem verhalten sich Geldtransaktionen wie getauschte Geschenke, denn Geld unterscheidet sich nicht von anderen Objekten.

Eine weitere Geldart, die das Knappheitsproblem sogar noch direkter lösen kann, ist das wechselseitige Kreditsystem, das häufig mit dem Akronym LETS (local exchange trading system = örtliches Tauschhandelssystem) bezeichnet wird. In einem wechselseitigen Kreditsystem wird das Geld nicht durch Banken oder einen zentralen Herausgeber geschaffen, sondern durch die Transaktion selbst. Und das geht so: Stell dir vor, Jane braucht jemanden, der ihren Rasen mäht. Joe macht es für 10 LETS-Dollar, und die Transaktion wird auf einem Computer oder einem anderen Konto verbucht. Janes Konto wird mit 10 LETS-Dollar belastet und Joes um 10 aufgestockt. Geld wird aus dem Nichts geschaffen. Joe kann jetzt diese 10 LETS-Dollar benutzen, um ein anderes Gut oder einen Dienst bei Fred zu kaufen. Jane schuldet derweil der Gemeinschaft einen anderen Dienst im Wert von 10 LETS-Dollar.

Wenn das obige Szenario unsolide klingt, solltest du verstehen, dass sich sein Geldschöpfungsmechanismus im Prinzip nicht vom gegenwärtigen Bankschuldsystem unterscheidet. Wenn dir eine Bank 100.000 Dollar auf eine Hypothek gibt, dann schöpft sie das Geld im Grunde aus dem Nichts. Wie im LETS-System sind Schuld und Geld, wie Leitaer sagt, „zwei Seiten der selben Münze“. Der wichtige Unterschied liegt in der Art, wie die Geldschöpfung gesteuert wird. In unserem gegenwärtigen System wird die Geldschöpfung beschränkt durch (1) Mindestreserveanforderungen und (2) die Kreditwürdigkeit des Leihers, was seine Fähigkeit meint, andere auszustechen, um so die Basisschuld und die Zinsen zurückzahlen zu können. Wie in Kapitel IV beschrieben führen diese Beschränkungen oft zu Geldknappheit, denn sie sind nicht direkt mit der Nachfrage nach einem Tauschmedium verknüpft. Sie können auch zu einer Polarisierung des Wohlstandes führen, wenn das Mittel zur Wohlstandsproduktion – Kapital – nur zu hohen Kosten oder überhaupt nicht für genau jene Menschen zu bekommen ist, denen bereits die Mittel zur Wohlstandsproduktion fehlen (um Zinsen zurückzuzahlen).

Im Gegensatz dazu wird die LETS-Geldschöpfung normalerweise durch die Gemeinschaft kontrolliert. In der Theorie hält Jane nichts davon ab, immer mehr Schulden zu machen, ohne sie je zurückzahlen zu wollen, und nichts hält Joe und Fred ab, fiktive Transaktionen abzuschließen, um Freds Konto aufzufüllen, während Joes sich leert. Aber in der Praxis werden jedem, der das tut, schließlich Dienste durch die Gemeinschaft verwehrt werden. LETS-Währung stellt eine Formalisierung von „Ich schulde dir was“ dar, wobei „dir“ nicht das Individuum meint, das den Dienst geleistet hat, sondern die Gemeinschaft. Sie verlässt sich zur Missbrauchsverhinderung auf sozialen Druck, sowohl offen als auch internalisiert in Form von Pflicht, Scham usw. Jemandem werden hohe Schulden nur gestattet, wenn er und die Gemeinschaft meinen, die Umstände ließen es zu – im Krankheitsfall beispielsweise.

Weil Geld durch die Transaktion geschöpft wird, gibt es nie eine Währungsverknappung im LETS-System. Der einfache Wille, einen gewünschten Dienst auszuführen oder ein gewünschtes Gut zu liefern, reicht aus, um eine Transaktion zustandekommen zu lassen – im Gegensatz zum gegenwärtigen, widerspruchbehafteten System, das oft versagt, die Unterbeschäftigten mit den Unterversorgten in Verbindung zu bringen. Mit einer unknappen Währung fehlt niemals jemandem das Geld, um für die Deckung seiner Bedürfnisse zu zahlen. Natürlich werden „Bedürfnisse“ noch immer durch die Kultur und die Gemeinschaft bestimmt, die vielleicht unwillig ist zu liefern, was eine Person möchte. Wichtig hierbei ist, dass es tatsächlich die Gemeinschaft ist, die diese Entscheidung trifft und nicht unpersönliche, anonyme Wirtschaftsmächte. Auf diese Weise bringt LETS den alten Handelsbrauch der Wechselseitigkeit zurück, der einmal die Gemeinschaften zusammengehalten hat.

Zusätzlich zur Quantifizierung der Beiträge einer Person zur Gemeinschaf lassen LETS und andere Lokalwährungen die Gemeinschaften enger zusammenrücken, indem sie die Wirtschaft lokal halten. Lokale Währungen können den gnadenlosen Druck der Globalwirtschaft, die effektiv jeden mit jedem in Konkurrenz setzt, abmildern oder sogar umkehren. Wenige Supermärkte in Pennsylvania verkaufen die Äpfel, die hier so reichlich wachsen, sondern importieren sie stattdessen von der Westküste oder sogar aus Neuseeland. Örtliche Milchbauern gehen bankrott, während die Konsumenten Milch aus Michigan oder Wisconsin trinken. Die herkömmliche Wirtschaft sagt, das sei so, weil die Produzenten anderer Staaten „effizienter“ seien und aufgrund des Landes, Klimas oder der Kultur einen „Wettbewerbsvorteil“ besäßen. Die Wahrheit ist oft, dass diese „Effizienz“ von einer effizienteren Kostenauslagerung herrührt. Subventioniertes Wasser, Infrastruktur und die Fähigkeit der Umwelt zur Absorption von Abfällen reduzieren künstlich die Importkosten, und die Preise spiegeln keine ausgelagerten Kosten wider.

Obwohl lokale Ökonomien ebenfalls unter äußeren Einflüssen leiden können, ist das weniger wahrscheinlich, denn die, die für die ausgelagerten Kosten bezahlen, befinden sich üblicherweise innerhalb der selben Gemeinschaft, die ihre Geschäfte trägt. Ein Geschäft, das sich mit seinen Rohstoffen und Verkäufen ausschließlich auf einen fernen, unpersönlichen Umschlagplatz verlässt, investiert wenig in seine Umgebung und hat daher wenig Anreiz, sich verantwortlich zu verhalten.

Neben der Auslagerung von Kosten gibt es noch einen anderen Grund für die höhere Effizienz der fernen, großen Produzenten: Sie beuten größere Ökonomien aus, was auf lokaler Ebene nicht möglich ist.16 Dummerweise sind Uniformität und Normierung ihre Kehrseite. Die heutige Wirtschaft wird zunehmend von nationalen oder globalen Firmen beherrscht, die uniforme Produkte und Dienste auf großer Fläche anbieten. Ein Wirtschaftssektor nach dem anderen hat sich dem Geschäftsmodell von WalMart gebeugt. Früher unabhängige Lebensmittelhändler, Bäcker, Haushaltswarengeschäfte, Bekleidungsgeschäfte und Imbissbuden sind lang Geschichte und wurden im Großen und Ganzen durch Franchiser ersetzt. Das Ergebnis war eine Homogenisierung der Kultur, Küche und städtischer Landschaft in ganz Nordamerika und in gewissem Umfang in der ganzen Welt – die „Laderampenlandschaft“. Du weißt, wie das aussieht: Meile um Meile Fastfood-Restaurants, Tankstellen, Autohändler, Megastores und Einkaufszentren. Keine Fastfoodkette öffnet einen Laden, um zu einer Gemeinschaft beizutragen, sondern nur, um Wohlstand aus der Gemeinschaft abzuziehen, der dann schließlich in fernen Zentralen oder bei Anteilseignern landet. Lokale Währungen treten dieser Dynamik entgegen, denn sie können nur lokal verwendet werden. Wenn beispielsweise ein Lebensmittelhändler sich entscheidet, teilweise Bezahlung in Lokalwährung anzunehmen, muss er einen örtlichen Nutzen für diese Währung finden, indem er Produkte von örtlichen Bauern ankauft und vielleicht auch einen Teil der Löhne in Lokalwährung auszahlt. Eine nationale Kette wird das wahrscheinlich nicht versuchen, denn das öffnet lokalem Wettbewerb die Tür. Das Ergebnis ist ein sich selbst verstärkender „Tugendkreis“, denn die in lokaler Währung bezahlten örtlichen Lieferanten und Angestellten müssen selbst lokal einkaufen. Je mehr Geschäfte und Verbraucher die Lokalwährung benutzen, desto nützlicher wird sie und desto größer der Anreiz für Geschäfte, sie anzunehmen.

Der elementarste Effekt des oben beschriebenen Währungssystems ist womöglich psychologischer Natur. Währungen, die nicht durch Zins und Knappheit definiert sind, beleben die alte Jäger-und-Sammler-Mentalität des Überflusses, in der teilen leicht und natürlich vonstatten geht und wo es kein verrücktes Gedrängel gibt, um sich die Welt anzueignen. Daher ist sie auch mit einer offeneren Vorstellung vom Selbst verträglicher, das sich über Beziehungen statt absolute Grenzen zwischen Selbst und Anderem definiert. Während keine dieser Währungen jemals völlig das gegenwärtige System ersetzen wird, bevor die Selbstdefinition sich ändert, werden sie konsequenterweise doch ein Mittel des Wandels sein, das helfen kann, die Neukonzeption des Selbst und der Welt einzuführen. Wenn die Zuspitzung der Krisen eintrifft, markiert das den Wendepunkt zu einem neuen Zeitalter und die Finanzkrise (der wir heute bei seiner Entfaltung zuschauen können) wird den Weg für all die Ideen freimachen, die oben dargelegt wurden, um damit ein radikal anderes System zu kristallisieren. Wenn das geschieht, wird Geld, das schon immer eine Kraft des Bösen war, neue Anreize im Einklang mit den Prioritäten des verbundenen, interdependenten Selbst verkörpern können: Nachhaltigkeit, Schönheit und Ganzheit.

Kann man sich überhaupt eine Wirtschaft vorstellen, in der die beste Geschäftsentscheidung identisch ist mit der ökologischsten Entscheidung? In der es eingebaute Wirtschaftsanreize gibt, um die Umwelt zu schützen statt Zwangsregulierungen? In der die schöpferische Unternehmensenergie des Geschäfts gesetzmäßig mit der Ganzheit der Natur und der Gesundheit der Gesellschaft auf einer Linie liegt? Gesell meint dazu: „Das Freigeld wird das tausendmal verfluchte Geld nicht beseitigen, sondern es nach den richtig erkannten Bedürfnissen der Volkswirtschaft umgestalten. Das Freigeld läßt sogar das Grundgesetz unserer Volkswirtschaft, das, wie wir zu Anfang dargetan haben, der Eigennutz ist, unangetastet, aber es wird zeigen, daß der Wucher wirken muß, wie ’jene Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft’, sobald wir der Nachfrage den Willen nehmen und sie in gleicher Rüstung wie das Angebot diesem entgegentreten lassen. “17

So wie es aussieht, wird Geld fast universell als Kraft des Bösen oder sogar „Wurzel allen Übels“ angesehen. Die Redewendung „sich etwas nicht leisten können“ enthüllt, wie oft Geld unsere angeborene Tendenz zur Freundlichkeit, Freigiebigkeit, Muße und Kreativität behindert. Ich habe beschrieben, wie Zinsgeld die Gier erzeugt, die wir mit der menschlichen Natur verwechseln, und wie es die Illusion aufrecht erhält, dass Sicherheit und Wohlstand von der Ansammlung von immer mehr von der Welt beim Selbst herrührt, wobei eine immer größere Domäne des „Mein“ auf Kosten jeder anderen lebenden Person, jeden Tiers, jeder Pflanze und des Ökosystems ausgespart wird. Gleichermaßen scheint es in genauem Gegensatz zur Karmalehre zu stehen, die besagt, dass das, was wir der Welt antun, auch uns selbst antun. In unserem gegenwärtigen System bedeutet „der Welt geben“ weniger für mich, nicht mehr! Geld trägt daher zur Illusion der Getrenntheit bei, die vom Buddhismus (und wohl auch in anderen Religionen) als Wurzel allen Leids betrachtet wird. Freigeld und das LETS-System verkehren diese Rolle und bringen Geld mit Karma auf eine Linie, wobei sie dessen Grundprinzip, dass man durch Bereicherung der Welt sich selbst bereichert, eher stützen als bestreiten. Dadurch untergraben sie auch das Dogma vom eigenständigen und getrennten Selbst, das der Entwicklung des gegenwärtigen Geldsystems zugrundeliegt.

Ein Vorgeschmack auf die Zuspitzung der Krisen (und in diesem Fall besonders der Finanzkrise) ereignete sich in den 1930ern und begann exakt die Geldtypen hervorzubringen, die ich beschrieben habe. Jedoch waren zu jener Zeit nicht alle Elemente der Zuspitzung vorhanden; das moderne Konzept vom Selbst und der Welt war noch nicht voll ausgereift. Im Zuge des allgemeinen Währungszusammenbruchs auf der ganzen Welt erschienen in den 1930ern tausende von lokalen Währungen überall in Nordamerika und Europa. In den USA nannte man sie „Notwährung“, und sie enthielten mehrere der oben beschriebenen Eigenschaften und verjüngten lokale Ökonomien, wo immer sie eingerichtet wurden. Sie funktionierten so gut, dass einer der führenden Wirtschaftswissenschaftler seiner Zeit, Irving Fisher, das Bezugsschein- (Schwund-) System als Ausweg aus der Großen Depression empfahl: „Die korrekte Anwendung von Bezugsscheinen würde die Depressionskrise der Vereinigten Staaten in drei Wochen lösen!“18 Andere Ökonomen stimmten zu, doch Unterstaatssekretär im Schatzamt Dean Acheson wies auf mögliche politische Folgen der Dezentralisierung hin. Präsident Roosevelt beantwortete dies mit dem Verbot aller Notwährungen und wählte stattdessen die zentralisierte Lösung des „New Deal“. Eine ähnliche Geschichte ergab sich in Österreich mit der oben beschriebenen Wörgl-Währung und ihren zahlreichen Nachahmern, wie auch in Deutschland wenige Jahre zuvor. Obwohl heute die meisten Länder Alternativwährungen tolerieren, unterdrücken sie sie immer noch mit einer Reihe von Mitteln; beispielsweise unterliegen Einkünfte in lokaler Währung immer noch der Einkommenssteuer, die in nationaler Währung bezahlt werden muss und die Leute daher zwingt, zu einem nennenswerten Teil in der nicht-lokalen Wirtschaft tätig zu sein.19

Anscheinend war die Welt noch nicht für einen Machtwechsel zu den lokalen Gemeinschaften hin bereit. Die zentralisierten Lösungen, die der New Deal und der europäische Faschismus repräsentierten, stellen mehr als nur Manöver der politischen Mächte dar, sondern sind Teil der Kontrollmentalität, hierarchischer Planung und reduktionistischen Denkens. Der Zeitgeist jener Tage diktierte solche Lösungen. In Newtons Wissenschaft kann man einer Lösung nicht einfach erlauben zu wachsen, sondern gestaltet sie von oben. Von den keynesianischen Anschubfinanzierungen bis zum faschistischen „Wir werden die Züge pünktlich fahren lassen“ enthielten die Wirtschaftslösungen während der Großen Depression alle Zentralautorität – das soziale Gegenstück zum eigenständigen und getrennten Subjekt auf der einen Ebene und Mensch-gegen-Natur auf einer anderen – die die Kontrolle übernimmt und Ordnung in einer kaputten Maschine durchsetzt.

Es spielte keine Rolle, dass die zentralisierten Lösungen tatsächlich kaum Wirkung zeigten. Obwohl der New Deal Menschen vor blankem Elend retten konnte, endete die Depression erst mit der militärischen Aufrüstung und dem Flächenbrand des Zweiten Weltkriegs. Jene Kriegswirtschaft hat uns seither stets begleitet.

Eine ähnliche Wahl steht uns heute bevor und wird immer deutlicher sichtbar werden, während die Finanzkrise sich verschlimmert. Wir werden uns gemeinsam für einerseits mehr zentralisierte hierarchische Kontrolle entscheiden müssen, die wie in den 1930ern zu Faschismus und Krieg führt, oder andererseits für eine Lockerung der Kontrolle und eine organischere Lösung. Aus Sicht der Zentralregierung ist das überhaupt keine „Lösung“, nicht im Sinne von Gestaltung oder eines Plans. Lokalwährungen sind spontan und mit ähnlichen Eigenschaften wieder und wieder entstanden – jene der Großen Depression hatten Vorläufer in den Währungen ähnlichen Zuschnitts während der Paniken von 1873, 1893 und 1907.20 Wir sind so sehr trainiert zu glauben, dass eine Lösung mehr Kontrolle bedeutet, detailliertere Manipulation aller Variablen, umfassendere Gestaltung – das Technologische Programm, in diesem Fall auf Währung angewendet. Doch genau wie in anderen Technikbereichen wird die Illusion der Geldkontrolle, die angesichts der Abwesenheit größerer Finanzpaniken in den letzten 60 Jahren (zumindest im Westen) so unwiderstehlich schien, immer schwächer. Bald wird ihr Versagen unleugbar, und wir werden uns entscheiden müssen, ob wir es trotzdem zu einem immer höherem Preis abstreiten wollen, oder ob wir es loslassen und dem Wildwuchs vertrauen – der spontanen Schaffenskraft menschlicher Gemeinschaften.

Je länger wir weitermachen, desto mehr müssen wir uns strecken, um ein technisches Pflaster nach dem anderen auf unserem kippenden System anzubringen, und desto schwerer werden die Krise und die ihr folgenden Verwerfungen sein. Das Endresultat ist jedoch sicher, nämlich dass ein neues Geldsystem auftauchen wird, das „im Einklang mit den Prioritäten des verbundenen, interdependenten Selbst steht: Nachhaltigkeit, Schönheit und Ganzheit.“

Geld wird im Zeitalter der Wiedervereinigung ein Mittel zur Entwicklung sozialen, kulturellen, natürlichen und spirituellen Kapitals sein, und nicht deren Aufzehrung. Es wird ein Mechanismus des Teilens von Wohlstand sein, und nicht dessen Anhäufung. Es wird ein Mittel für die Schaffung von Schönheit sein, nicht deren Reduzierung. Es wird eine Barriere für Gier sein, und nicht dessen Anreiz. Es wird mit Freude erfüllte schöpferische Arbeit ermutigen, statt „Jobs“ erforderlich zu machen. Es wird die zyklischen Abläufe der Natur verstärken, statt sie zu verletzen.

Um Patrick Farleys Vision nochmals zu zitieren: „Könnten du oder ich glauben, wie phantastisch Wohlhabend sie alle sein werden?“ Wir können nun sehen, was das hieße. Wenn Wohlstand von Anhäufung getrennt wird und mit reichhaltigen Beziehungen zu tun hat, macht der Wohlstand des einen auch alle anderen wohlhabender. Kunst und die Schaffung von Schönheit werden nicht mehr dadurch begrenzt, was wir uns leisten können, denn Geld wird der Verbündete der Kunst sein, nicht ihr Feind. Geschäft wird die Suche nach Wegen sein, anderen Wohlstand zu gewähren, statt ihnen diesen abzunehmen. Unser Leben wird nicht mehr angefüllt sein mit billigem Schund, jede Transaktion eine Abzocke. Arbeit wird nicht mehr an die Suche nach Geld gebunden sein, sondern Wege suchen, wie man mit seinen Gaben und Temperamenten einander und der Welt am besten helfen kann. Das wird der selbstverständliche Weg zum Reichtum sein, sowohl spirituell als auch finanziell, denn beides wird nicht mehr miteinander in Konflikt stehen.

4 Heute könnte man das natürlich alles elektronisch erledigen.

5 Bernard Leitaer gibt eine gute Erläuterung der Geschichte des Schwundes in The Future of Money.

6 Marshall Sahlins, Stone Age Economics, S. 209

7 Richard Lee: The Dobe !Kung, S. 101

8 Silvio Gesell: Die natürliche Wirtschaftsordnung, 9. Aufl., S. 203. Gesell befürwortete auch das Verbot von Landeigentum.

9V bezeichnet hier die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes und P den durchschnittlichen Produktpreis [Anm. d. Übers.].

10 Gesell, S. 191

11 In einer deflationären Depression beispielsweise führt die Geldknappheit dazu, dass jeder es hortet, was die Knappheit noch verschlimmert.

12 Gesell, S. 192

13 Lewis Hyde: The Gift, S. 23

14 Die Verschwendung von Nahrung geschieht auf allen Produktions- und Konsumebenen, von der Scheune bis zum Teller. Auf der Produktionsebene übertrumpft wirtschaftliche Effizienz die Sonneneffizienz bei der Umwandlung von Sonnenlicht in Nahrung, mit dem Ergebnis, dass arbeitsintensive Landwirtschaft, die höheren Nahrungsertrag liefern kann, nicht mit der maschinellen Landwirtschaft konkurrieren kann (besonders wegen der versteckten Subventionen). Weitere Verschwendung gibt es auf der Verarbeitungsebene, zum Beispiel in der Unfähigkeit, Innereien und nicht perfekt geformte Früchte und Gemüse zu verwenden. Auf der Distributionsebene gibt es enorme Verschwendung in Supermärkten, die alles wegwerfen müssen, was verdirbt oder abläuft. Und auf der Konsumebene brauchst du einfach nur einmal in eine Uni-Cafeteria zu gehen und die Durchreiche zu beobachten, wo Studenten ihre Tabletts abstellen.

15 Jessica Prentice: Stirring the Cauldron. New Egg Moon, 13.4.2005, www.wisefoodways.com

16 Der größte Teil der „Effizienz“ geht eigentlich auf ihre Handelsmacht zurück, nicht ihre Produktionseffizienz. Ein großer Käufer kann kleinere Preise von Produzenten verlangen, ohne notwendigerweise irgendwie effizienter zu sein.

17 Gesell, S. 194

18 Das Zitat und eine allgemeine Darstellung dieses historischen Zwischenfalls wurden entnommen aus: Bernard Leitaer, The Future of Money, S. 156f. (dt.: Das Geld der Zukunft : über die destruktive Wirkung des existierenden Geldsystems und die Entwicklung von Komplementärwährungen, 1999)

19 Einkommenssteuer verstärkt die Herrschaft der Kontrolle auch auf andere Weise, nämlich dadurch, dass man alle Einkommen und zulässigen Abzüge nachweisen muss. Weil das Leben sich zunehmend ökonomisiert, bedeutet das, dass immer größere Anteile des Lebens aufgezeichnet und damit zu Daten werden.

20 Leitaer, S. 156

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1998-2011 Charles Eisenstein